Die
Sprache ist des Menschen wichtigstes Kommunikationsmittel und somit von
zentraler Bedeutung. Sie ermöglicht den Zugang zum Mitmenschen und
erlaubt uns, unsere Gedanken mitzuteilen. Eine gestörte Sprache kann zu
Kontaktschwierigkeiten führen sowie die soziale und berufliche
Entwicklung behindern.
Was wird unter Legasthenie verstanden?
Aus dem lateinischen übersetzt bedeutet Legasthenie Leseschwäche (Legere
= Lesen; Asthenie = Schwäche). Sie wird diagnostiziert wenn ein Schüler
trotz mindestens durchschnittlicher Intelligenz einen deutlichen Rückstand
in seiner Lese- und Rechtschreibfähigkeit gegenüber seinen Mitschülern
aufweist. Legasthenie ist eine Teilleistungsstörung im Umsetzen der
gesprochenen in die geschriebene Sprache. Der internationale Begriff für
Legasthenie ist Dyslexie. Betroffene haben oft ein grosses Potential, weil
sie bildhafte Denker sind. Berühmtheiten wie Walt Disney, Albert
Einstein, John Irving oder Hans Christian Andersen waren ebenfalls
Legastheniker.
Keine homogene Legastheniker-Gruppe
Legastheniker sind keine homogene Gruppe. Im Vergleich untereinander haben
sie keine identischen, sondern unterschiedliche Probleme mit Lesen
und/oder Rechtschreiben. Ihre Orthographie zeigt keine andersartigen
Fehler als bei generell schulschwachen Kindern mit vergleichbar grossen
Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten. Für die Kennzeichnung einer
Legasthenie ist allein die weit über dem Durchschnitt liegende Anzahl der
Fehler ausschlaggebend. Diese, auch die als typisch legasthenisch
geltenden, können auch bei anderen Kindern auftauchen. Jungen sind von
der Lese- und Schreib- Schwäche wesentlich häufiger betroffen als Mädchen.
Bis
zehn Prozent der Schüler betroffen
Zwischen fünf und zehn Prozent der Schulanfänger fällt es besonders
schwer, einzelne Laute akustisch oder visuell zu unterscheiden oder Wörter
zu buchstabieren. Zudem "verschlucken" sie Endungen,
"vergessen" Vokale oder bekunden grosse Schwierigkeiten beim
Abschreiben von Texten. Diese anhaltenden Misserfolge führen bei Kindern
oft zu weiteren schulischen Problemen oder aggressivem Verhalten. Kinder
welche die typischen Erscheinungsformen einer Legasthenie zeigen, sollten
spätestens zu Beginn der 3. Klasse professionelle Hilfe bekommen Nur so
ist es möglich, das Kind vor einer möglichen Ausgrenzung aus der Klasse
zu bewahren.
Blickfähigkeit beim Lesen
Spätestens mit Beginn der Schule wird unsere Seh- und Blickfähigkeit mit
einer besonders schweren Aufgabe konfrontiert: wir sollen lesen lernen.
Dazu müssen wir die Fähigkeit erwerben, Buchstaben wiederzuerkennen, sie
zu Wörtern und dann zu Sätzen zusammenzusetzen. Sobald ein Wort oder Wörter
in einer Zeile nicht unmittelbar erkannt werden, müssen wir mit Blicksprüngen
die Zeile abtasten. Fehler durch zu grosse oder zu kleine Blicksprünge,
unvollständig gesehene Teile eines Wortes durch zu kurzen Aufenthalt,
verhindern ein flüssiges lesen. Diese Art von Legasthenie beruht auf
einer nicht genügend funktionierenden Blicksteuerung.
Das Erlernen der Hör-Technik
Die Grundprozesse des Hörens müssen im Laufe des Lebens erlernt werden.
Dies geschieht, wie auch beim Sehen, meist "von alleine" durch
die täglichen Anforderungen an die Hirnfunktionen. Dieses Erlernen bildet
die Grundlage des genauen und bewussten Hörens und spielt für den Erwerb
der Schriftsprache eine entscheidende Rolle. Bei vielen legasthenen
Kindern ist die Reiz-Verarbeitung in den Hörbahnen aber beeinträchtigt.
Die Zellen der entsprechenden Schaltstellen im seitlichen Kniehöcker können
kurz anklingende auditive Reize nicht verarbeiten. Dies führt dazu, dass
die nur kurz anklingenden Konsonanten und Kurzvokale nicht unterschieden
werden können.
Verwechslung ähnlich klingender
Laute
Bei jüngeren Legasthenikern findet man häufig die Verwechslung ähnlich
klingender Laute, wie o-u, e-i oder sch-z. In anderen Fällen kommt das
Vertauschen von Buchstaben wie b-d-g, a-o und das Vertauschen von
Reihenfolgen, wie Korne = Krone oder Rot = Tor vor. Dies deutet dem
Duden-Ratgeber für Legasthenie zufolge auf ein Defizit beim Erfassen der
Raumlage und der Reihenfolgen hin. Wenn ein lesendes Kind Buchstaben auslässt
z.B. auläss für auslässt, oder mehr als die Hälfte der Buchstaben
eines Wortes verfehlt bzw. so genannte Wortruinen bildet wie z.B. "ortrin"
für Wortruine oder OCOA OCLA für COCA COLA etc., kann dies ein Hinweis
auf eine Hörverarbeitungsschwäche sein.
Legasthene Probleme bei
Fremdsprachen
Nach den ersten Schuljahren, in denen ein legasthenes Kind bei guter Förderung
seine Teilleistungsschwächen partiell kompensieren konnte, leben die
Schwierigkeiten mit dem Erlernen der ersten Fremdsprache wieder auf. So
ist zum Beispiel die englische Schriftsprache wenig lautgetreu. Wie in der
deutschen Sprache versuchen legasthene Schüler aber lautgetreu zu
schreiben. Das führt dann zu ganz typischen Fehlern wie "candel"
statt "candle" oder "cieling" statt "ceiling".
Darüber hinaus können Hörfehler vorkommen bei Wörtern die ähnlich
klingen: "sheep" statt "ship" oder "right"
statt "write".
Teilleistungsschwächen in
Mathematik
Im Verlauf der Schulzeit wirken sich visuelle Teilleistungsschwächen auch
noch in der Umstellung der Ziffernfolge bei zweistelligen Zahlen wie zum
Beispiel 32 anstelle von 23 aus. Bei auditiven Verarbeitungsschwächen fällt
das Kopfrechnen schwer. Da Sprache verlangsamt verarbeitet wird, rechnet
das Kind auch deutlich langsamer als seine Altersgenossen. Aus diesem
Grund kann es Zwischenergebnisse beim Kopfrechnen kaum speichern. Beim
zweiten Rechenschritt verliert es oft den ersten aus dem Kurzzeitgedächtnis.
Auditive Teilleistungsschwächen beeinträchtigen auch das Behalten der
Einmaleins-Reihen.
Ursachen
der Legasthenie
Nach dem Zweiten Weltkrieg neigten Wissenschaftler dazu, die Legasthenie
auf Unterrichtsfehler oder auf seelische Belastungen bei den betroffenen
Kindern z.B. durch Konflikte im Elternhaus zurückzuführen. Diese
Theorien konnten aber nie bestätigt werden. In den letzten Jahrzehnten
ist auf diesem Gebiet sehr viel Forschung betrieben worden. Neuesten
Erkenntnissen zufolge sind an der familiären Legasthenie erbliche
Faktoren beteiligt. Eine zweite Ursachengruppe betreffen Schädigungen,
die im Mutterleib oder im zeitlichen Umkreis der Geburt wirksam waren. In
beiden Fällen handelt es sich also um biologische Ursachen.
Diagnose
nur durch Fachleute möglich
Um die exakte Diagnose einer Lese- Schreib-Schwäche zu bekommen, müssen
Fachleute das Kind ganzheitlich untersuchen. Dabei wird nicht nur auf die
Schwächen sondern auch auf die besonderen Begabungen und Vorzüge des
Kindes geachtet. Nur genaue Untersuchungen machen es möglich, einen
passenden Therapieplan für das Kind aufzustellen. Leider ist Legasthenie
nicht heilbar. Die Störung lässt sich nicht durch fleissiges Üben oder
Dauerermahnungen mindern. Den Kindern kann nur durch gezielte Massnahmen
geholfen werden, um ihre Schwächen durch andere Fertigkeiten
auszugleichen.
Tipps
für die Eltern im Schulalltag
Wenn Eltern den Eindruck haben, dass ihr Kind mit der Erfüllung
schulischer Ansprüche nicht zurechtkommt, sollten sie frühzeitig Kontakt
mit der Klassenlehrerin oder dem Klassenlehrer aufnehmen. Nur so ist es möglich,
dass Schwierigkeiten berücksichtigt und teilweise behoben werden können.
Eine Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus fördert das Verständnis für
das Kind. Es erfordert eine Menge Kraft und Ausdauer, den Kindern zu
helfen, weshalb raschmöglichst professionelle Hilfe anfordert werden
sollte. Dadurch können dem Kind grössere Misserfolgserlebnisse bzw. das
Scheitern im Unterricht weitgehend erspart werden.
Tipp: Übermässiges Üben
vermeiden
Bei Lese-Rechtschreibe-Schwierigkeiten führt oft nicht eine Steigerung
der Übungszeit, sondern eine veränderte Art und Weise des Lernens zu
Fortschritten. Um Überforderungen zu vermeiden, sollten dem Kind als
Ausgleich zum Üben ausreichend Freizeitbeschäftigungen, die ihm Spass
machen und möglichst mit Bewegung verbunden sind, ermöglicht werden.
Eltern sollten ihre Beziehung zum Kind durch das häusliche Üben nicht
belasten. Eine positive Lernatmosphäre ist die Voraussetzung für
Lernfortschritte. Übungen mit dem Kind sind aber nur dann sinnvoll, wenn
die Eltern über ausreichende Kenntnisse der deutschen Rechtschreibregeln
verfügen.
Mit einem Auge Lesefähigkeit
verbessern
Kinder mit Legasthenie verlieren beim Versuch einen Text zu lesen oft die
Kontrolle über die Bewegungen der Augen. Ihre Blicke springen hin und
her. Wie der "New Scientist" schreibt, haben Forscher der
University of Oxford an 144 legasthenischen Kindern untersucht, ob der
Gebrauch nur eines Auges die Lesefähigkeit verbessert. Der Hälfte der
etwa neun Jahre alten Kinder wurde ein Auge verdeckt. Nach drei Monaten
hatten die Kinder dieser Gruppe weitaus grössere Lesefortschritte
erzielt, als diejenigen, die weiter versucht hatten,mit beiden Augen zu
lesen. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, die Legasthenie zu
therapieren - ihr Kind wird es Ihnen danken.